In letzter Zeit scheint sich in Prag eine Seuche auszubreiten, die ich mit diesem Post einzudämmen hoffe.Ich lese immer öfter - und sicher bin ich nicht der einzige, dem das aufgefallen ist - Ausdrücke wie die Folgenden:
"Innerlich kochte er vor Wut, aber ließ nichts nach außen dringen."
Oder:
"Diese Anmaßung! Diese Impertinenz! Diese Arroganz! Am liebsten hätte er dem anderen lautstark die Meinung gesagt, sein Gesicht verriet jedoch keine Regung, und auch seine Körperhaltung änderte sich nicht."
Gerne findet man auch "unmerkliche" Dinge, wie z.B. ein "unmerkliches Lächeln", was Quatsch ist: Wenn es unmerklich ist, dann ist es kein Lächeln, es sei denn es ist unmerklich, weil man in einen Schal oder seine Hand hineinlächelt. Das Wort unmerklich gibt also nur begrenzt Sinn, meistens meint der Autor damit "kaum merklich" oder "beinahe unmerklich"... aber dann soll man das auch so schreiben, wenn man es so meint. (Ich schreibe jetzt immer Autor und in den Beispielen ER, aber natürlich sind damit auch Autorinnen und weibliche Charaktere gemeint.)
Manche, die meinen, dadurch besonders gut rollenzuspielen, schreiben
"Es kostete ihn unglaubliche Anstrengung, sein Amüsement über diese Vorgänge so unter Kontrolle zu behalten, dass keiner auch nur ahnen konnte, was in ihm vorging."
Ich hoffe das reicht an Beispielen, wer mehr möchte, hat leider sehr gute Chancen, in einem x-beliebigen Play der letzten Zeit weiteres Material zu finden.
Fangen wir mal mit dem einfachsten an: Zorn.
Beim Vampir sind alle Emotionen an das Tier (das ich im Folgenden "Bestie" nennen werde, was zwar auch komisch klingt, aber zumindest nicht so verharmlost und ans englische Original etwas besser rankommt) verbunden, und ans Blut.
Liebe und Verlangen zum Beispiel - das ist Teil des Fluchs - kreisen immer wieder um das Blut, und wenn Blut im Spiel ist, dann meldet sich die Bestie und will mehr davon.
Aber bei keiner Emotion spielt die Bestie eine so große Rolle wie bei Zorn... oder auch Empörung, oder Demütigung...
Wer da nun etwas schreibt wie "er war wütend, aber ließ sich nichts anmerken", hat wohl vergessen, dass er Vampire spielt und nicht DSA.
Wenn ein Vampir wütend wird, ja, wenn auch nur ein Funken von Ärger aufglimmt, dann sieht die Bestie ihre Chance und meldet sich zu "Wort".
Die Ursache des Ärgers muss vernichtet werden! Wie kann er es wagen! Sicher ist er meiner Macht nicht gewachsen, sein Blut wird meine Stärke nähren und vielleicht, nein, ganz sicher, wird sein Blut mir köstlich munden!
Ich werde ihn zerreißen!
Und so weiter.. die Bestie rüttelt an ihren Ketten, der Vampir spürt das Aufkeimen von Raserei... Das Austauschen von verbalen Gemeinheiten kann gesellschaftlich eine wichtige Waffe sein, aber stets ist dabei Vorsicht geboten, denn wenn man den anderen zu weit treibt, ist die Situation wieder anders.. womöglich schadet dies dem Ansehen des anderen, aber jetzt, in der Gegenwart, wenn die Bestie vom Wortgefechtsgegner Besitz ergreift, wird ihn dies herzlich wenig scheren, wenn er nur das Blut des Beleidigers hinunterschlingen kann.
Also bitte, memento non mori! Bedenke, dass du nicht sterblich bist, bzw.: Bedenke, dass du ein Vampir bist! Und das heißt vor allem, memento bestiam - Gedenke der Bestie!
Es gibt so vieles, was Ärger auslösen kann, und darunter ist viel Individuelles.
Der Künstler wird vielleicht augenblicklich rasend, wenn man seine, oder Musik im Allgemeinen kritisiert.
Den Gelehrten machen vielleicht dumme Bemerkungen schon wild, denn die Dummen haben ihn sein Leben lang verfolgt, usw.
Wer sich nicht damit anfreunden kann, dass sein - möglicherweise geliebter - Charakter, der doch immer so besonnen ist, plötzlich in eine blutrünstige Raserei verfällt, oder meint, dass das nur passieren soll wenn er von einer gerade zufällig anwesenden SL zum Würfeln gezwungen wird und dann dabei auch noch versagt... der soll doch bitte nicht Vampire spielen, es gibt genug andere Rollenspielsysteme, und vermutlich alle auch irgendwo online zu finden.
"Aber das passt gar nicht zu meinem Charakter..." Blödsinn!
Die Bestie ist Teil der vampirischen Natur, und die Frage ob das passt oder nicht, braucht man überhaupt nicht stellen, sie gehört einfach dazu, wenn man ein Vampire-Rollenspiel spielt.
Wie immer gilt: Wer nur Stärken des Charakters ausspielt und Schwächen übersieht oder beiseite schiebt, der spielt sowieso kein Rollenspiel (denn kein Charakter ist derart perfekt), sondern betreibt irgendeine Art von ausgespieltem Wunschdenken in einer paradiesischen Traumwelt, wo nur die anderen Fehler machen.
Und damit weg vom Zorn und hin zu allen Emotionen.
Auch Emotionen gehören zur Rolle, zum Charakter, zum Spiel!
Ja ja, es werden wohl fast alle die Stories von den Ahnen kennen, denen jegliches menschliches Gebaren fremd geworden ist, die nicht zwinkern, nicht lachen, nicht zucken, die einfach unnatürlich still sitzen wie eine Statue, und so deutlich machen, wie pervers das "Leben" eines Kainiten eigentlich ist.
Gut, aber bei uns spielen Spieler keine Ahnen, nicht einmal alte Ancillae. Sicher wird niemand auf dem Pfad der Menschlichkeit sich so verhalten, im Gegenteil, diese Kainiten versuchen ja gerade, diese Spuren der Menschlichkeit zu erhalten.
Auch die anderen Pfade erhalten beinahe alle in irgendeiner Art und Weise Emotionen (auch wenn es durchaus nur spezielle sein mögen).
Das heißt, den Charakter, der alle Emotionen unterdrückt hat (wir sind nicht auf Vulkan) gibt es nicht, und schon gar nicht den, der alle Emotionen empfindet, aber keine davon nach außen dringen lässt.
Soviel mal zur IT-Ebene...
Nun auf OT-Ebene:
Es ist stinklangweilig! Stellt euch so ein Treffen vor von lauter Wachspuppen, die sich alle freundlich unterhalten und dabei innerlich die tollsten Wutausbrüche und Lachanfälle haben. Ist das dann schönes Rollenspiel?
Wer will denn so spielen?
Ist die Angst, dass der Charakter mal ein paar Schwächen zeigt oder einfach nur Emotionen, so groß?
Vermutlich überlegt sich jetzt jeder im Kopf "Das stimmt schon bei den anderen, aber ich habe doch hervorragende Gründe, warum gerade mein Charakter... "
Nein. Mit ziemlicher Sicherheit nicht.
Sicher kann es dem einen oder anderen ab und an oder (je nach persönlichem Geschick, oder vielmehr, Manipulation+Ausflüchte) gelingen, seine natürliche Reaktion auf Worte oder Ereignisse zu verschleiern, aber nicht ständig!
Manchen Spielern ist diese Angst vor der Schwäche (ich schreibe jetzt immer Schwäche, denn offenbar scheint es weitgehend Konsens zu sein, dass Emotionen automatisch eine Schwäche darstellen, was so pauschal gar nicht stimmt) so in Fleisch und Blut übergegangen, dass man kaum noch einen Satz über eine Reaktion des Chrakters auf irgend etwas liest, ohne dass nicht ein paar Beiworte betonen, dass kein anderer davon Wind bekommt...
Aufwachen, Leute, werdet euch mal dessen bewusst was ihr da zusammenschreibt!
Im Zuge dieser Besessenheit von der Undurchschaubarkeit des eigenen Charakters scheint auch kaum jemandem aufzufallen, wie langweilig diese Spiele sich dann lesen.
Wer jetzt ansetzen möchte, was von "innerer Handlung" zu sagen, soll es sich lieber nochmal überlegen.
Wir spielen gemeinsam ein Chatrollenspiel, da sollen sich nicht Leute gegenübersitzen, die ein paar Worte austauschen und zu diesen dann elaborierte innere Monologe und interne Emotionsstürme erleben... es soll Interaktion stattfinden!
Daran zumindest scheinen sich einige noch zu erinnern, und dann kommt es zur überaus kuriosen und einfach nur lächerlichen Situation, dass der eine anfängt, in seinen Gedanken (die keiner ihm anmerkt) auf die Gedanken des anderen zu antworten (die diesem natürlich auch niemand anmerkt).
Was gäbe das für interessante Spiele, wenn die Spieler da den Mut hätten,ihrem Charakter freien Lauf zu lassen, wenn sie nicht äußerlich Nichts und innerlich Alles beschreiben würden, sondern äußerlich viel und innerlich wenig:
Vampir A verzieht bei den Worten von B angewidert das Gesicht, Vampir C (unter anderen) bemerkt dies und runzelt dazu die Stirn, wodurch Vampir B weiß, dass er in C offenbar einen Freund für seine Sichtweise finden kann, woraufhin er beginnt, in seine Rede weitere Punkte einfließen zu lassen,die diese Verbindung verstärken sollen.
Aber vielleicht runzelte C ja auch aus einem ganz anderen Grund die Stirn...
Aber all das wird ausgeschaltet durch diese peinlichen Ängste der Gefühlsäußerung, denn gedankliche Interaktion gibt es nunmal IT nicht.. so findet in den Plays dann irgendein Geplänkel auf - im Grunde - OT-Ebene statt, von dem die Charaktere gar nichts haben und die Spieler nachher im beste Falle unbefriedigt, im schlechtesten Falle verärgert herausgehen. Und dann soll man noch spielen, dass die Charaktere keine Ahnung haben, was die anderen denken, wo man doch OT alles weiß...
Dazu gebe ich jetzt hier kein Beispiel, einige werden das schon erlebt haben, und ich will nicht dass man sowas überhaupt jemals lesen muss.
Ich hoffe, dass dieser Text allein schon ausreicht, um aufzurütteln und diese schon reichlich ausgefahrene Spur wieder zu verlassen, bevor sie sich noch mehr einbürgert.
Ich sprach anfangs von einer Seuche, denn natürlich ist das ansteckend:
"Hey, wenn Spieler A seinen Charakter nichts zeigen lässt, warum sollte ich das dann tun? Nachher ist mein Charakter der Depp, den alle durchschauen, und er hat absolut nichts davon!"
Trotzdem muss jemand (oder am Besten alle gleichzeitig) anfangen, diesen Teufelskreis zu druchbrechen.
Alle Spieler sind ausdrücklich eingeladen und sogar aufgefordert, auf diese Thematik bei den Plays in Zukunft zu achten.
Offenbar wird gerne vergessen, was im FAQ steht:
Das "Recht", dass man würfelfrei spielt, und einfach beschreibt, wie der Charakter handelt und reagiert, ist eigentlich gar keines!
Die Maxime lautet: Ein schönes und atmosphärisches Spiel soll zusammenkommen!
Manche verwechseln das mit "Hey, ich darf schreiben was ich will und die anderen sollen es mir nicht verbieten und nicht mit irgendwelchen Einwänden kommen, solange ich nur schön schreibe!". Das ist es aber nicht.
Es soll ein schönes und atmosphärisches Spiel zustande kommen, ja. Aber nicht so, dass jeder seinen Char tun und walten lässt, wie es ihm passt:
Wie gesagt, ich habe selten so langweilige, stil- und sinnlose Spiele gelesen wie die "Dialoge im Wachsgesichterkabinett" in letzter Zeit.
Darum nochmal hier genau erklärt, wie das mit dem "würfelfrei spielen" funktioniert, denn das scheinen selbst langjährige Mitspieler vergessen zu haben:
Man würfelt nicht, wenn sich alle Spieler einig sind, dass die würfelfrei beschriebene Handlung passend und stilvoll ist.
ABER: Wenn keine Einigung da ist, dann hat JEDER das Recht, den anderen ums Würfeln zu bitten, und zwar ganz ohne dass das irgendwie anrüchig ist oder derjenige dann als Pedant, Regelfanatiker oder sonstwas hingestellt wird.
Nein, es ist niemand gezwungen, die Launen des anderen einfach so hinzunehmen.
Wenn er etwas für unlogisch hält, oder auch nur meint, dass man in diesem speziellen Fall ruhig würfeln könnte, dann soll er darum bitten, und der andere hat der Bitte ohne Murren, Betteln, Zürnen oder sonstirgendwelche Reaktionen nachzukommen.
Vielleicht ein Beispiel, sicher kein perfektes, aber ich möchte den Post langsam beenden, und das ist das erste beste was mir einfiel:
Man steht auf dem Platz, einer, ein geübter Reiter, hat sein Pferd bei sich stehen. Das Gespräch ist beendet, der Pferdehalter steigt auf. Soll der jetzt würfeln, um womöglich zu patzen und auf der Nase zu liegen? Davon hat niemand etwas, die Aktion wäre stillos, das Würfeln überflüssig.
Andere Situation:
Banditen greifen an, ein geübter Reiter will - natürlich sehr elegant - auf ein vorbeigaloppierendes Pferd aufspringen und die Verbrecher über den Haufen reiten.
Selbstverständlich wird man hier würfeln, und wenn der Spieler des Reiters sagt: "Aber wieso denn? Das ist doch uncool, wenn das jetzt nicht gelingen sollte!", dann lautet die Antwort: "Die Coolness deines Charakters ist nicht der zentrale Punkt des Spiels!"
Eine Situation, wo so eine gewagte Aktion mitten zwischen Feinden nicht gelingt, ist genauso interessant und dramatisch wie eine, wo dies gelingt.
Dagegen zu oben, eine Situation wo jemand grundlos fällt, ist einfach nur albern und bringt niemanden weiter, und schon gar nicht wird dadurch eine gute Geschichte erzeugt.
Wieder zurück nun auf die Gespräche bezogen:
Die "Coolness" einzelner Charaktere ist nicht relevant für die Gesamtatmosphäre und die Qualität der erzählten Geschichte! Ganz im Gegenteil, je mehr "coole" desto langweiliger die Geschichte, wie nun schon oft genug erzählt, und vor allem, wenn man nochmal ganz oben meinen Text über Zorn liest, desto -eindeutig- falscher wird das, was man da zusammenspielt.
So, ich hoffe das genügt fürs Erste, und ich sehe bald Besserung.
Einfach etwas mehr Mut, liebe Spieler!
Mut, die anderen zum Würfeln zu bitten, und vor allem:
Mut, den eigenen Charakter vollständig auszuspielen, nicht nur das, was dem Spieler genehm ist und den Charakter ach so elegant und cool erscheinen lässt, sondern alles!
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I can hear the sound of
violence long before it begins...