MeisterGrundel
Anmeldedatum: 14.10.2004 Beiträge: 2464
|
Verfasst am: 21.11.2007, 13:37 Titel: Die Gedanken sind frei |
|
|
Da ich darauf angesprochen wurde, und bei genauerer Betrachtung zustimme, dass die Gefahr besteht, dass wir in ein neues Zeitalter der Gedankenkriege eintreten, her mal ein paar Worte dazu.
Das Problem:
Welche Gedanken kann und sollte man vielleicht sogar öffentlich und IT posten, und welche Gedanken sind dafür nicht geeignet und schaden eher als dass sie nutzen?
Es ist extrem schwer, "gute" und "schlechte" Gedanken per präziser Definition voneinander zu trennen, und da ich kein Philosoph und kein Jurist bin, versuche ich es hier auch gar nicht, sondern versuche stattdessen, die Problematik an folgenden Beispielen zu erläutern.
Zitat: |
Beispiel 1:
Hans hob die Brauen in die Höhe. Wie bitte? Baron Snöbli wollte WAS machen? Einen Moment lang schüttelte er verwirrt den Kopf, den Blick gesenkt. Über diese Entwicklung musste er erst nachdenken. Wer sollte denn stattdessen für den clanlosen Abschaum verantwortlich sein, wenn nicht die städtische Geißel? Er ließ seinen Blick über die Menge schweifen und ließ die Gesichtsausdrücke und das Flüstern der anderen auf sich wirken. Clothilda nickte zustimmend, offenbar unterstützte sie, nebst anderen, diese Maßnahmen, andere wirkten geradezu empört. Wenn das mal keinen Aufruhr auslösen würde... |
Zitat: |
Beispiel 2:
Gelassener Miene blickte Hans in die Menge, seine Gesichtsmuskeln entspannt, seine Körperhaltung nicht schlaff, aber auch nicht übermäßig aufgerichtet. Innerlich jedoch brodelte es in ihm:
Dieses Riesenross Snöbli! Sah er denn nicht, dass diese Maßnahme zum Untergang der Domäne führen würde? Wie konnte jemand, der auch nur einen Funken verstand hatte, diesen Vorschlag gutheißen? Unglaublich, dass einige in der Menge zustimmend nickten!
Hans erinnerte sich an die Ereignisse vor 2 Monaten, die freilich außer ihm und Snöbli kaum einer kannte.
Wie freundlich hatte Snöbli gewirkt, wie edel im Geiste, wie aufopferungsvoll, nur das Wohl der Domäne im Sinne.. und was war daraus geboren? Chaos, Anarchie.. und natürlich die persönliche Bereicherung des Barons! Ganz offensichtlich versuchte er hier das gleiche Spiel erneut, und wie es schien, würde er auch diesmal wieder Erfolg haben. Arme, arme Domäne von gutgläubigen Naivlingen. Selbst Clothilda schien zuzustimmen, ausgerechnet sie, von der Hans sich so viel versprochen hatte in der Zukunft. Oh, diese Enttäuschung...!
|
Beispiel 1:
Hier dienen die Gedanken der Bereicherung des Spiels und der näheren Erläuterung.
Der Spieler von Hans lässt diesen einige Merkmale nach außen senden, anhand derer man erkennt, was Hans von Snöblis Vorschlag hält.
Die Gedanken erläutern knapp die direkte Motivation hinter den Gesten, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, und bestätigen eigentlich nur, was man ohnehin als Grund vermutet hätte.
Der Gedanke zu Clothilda drückt im Grunde nur aus, dass Hans in ihre Richtung gesehen und ihre Geste wahrgenommen hat und stellt daher eine Alternative da, zu schreiben "er sah auch, wie..".
Anhand dieses Posts erhält die Chronik bzw. dieses Play zusätzliche Impulse. Man sieht Hans' Gesten, wo diese praktisch unmissverständlich sind, werden diese der Einfachheit und stilistischen Schönheit halber kurz erläutert.
Andere Spieler könnten nun beispielsweise eine Rede beginnen, in der Charaktere mit Rücksicht auf die vielen unzufriedenen Gesichter die vorgeschlagenen Maßnahmen opponieren.
Baron Snöbli kann seinerseits auf die Gesten und auf die Rede im Spiel reagieren.
Die IT/OT Trennung garantiert, dass sich keiner ärgert über die IT Aktionen anderer Spieler, und es entsteht ein spannendes Spiel mit viel Interaktion.
Beispiel 2:
Hans lässt nach außen nichts sehen. Seine Gedanken sind nur für die Spieler zugänglich.
Dank der IT/OT Trennung dürfen diese auf die Gedanken aber nichtmal reagieren, sondern müssen sich im Gegenteil redlich bemühen, diese zu vergessen!
Es stellt sich also die Frage, zu welchem Zweck diese Gedanken da überhaupt stehen.
Die Charaktere kennen sie nicht, die Spieler lesen sie, sollen sie aber wieder vergessen. Die Gedanken erklären auch nichts, denn es gibt nichts, was erklärt werden könnte.
Effektiv bewirken sie folgendes:
1. Sie tun den Spielern Hans' Meinung zum Geschehen kund.
Das ist eigentlich sinnlos, denn Spieler hat Hans' Meinung eigentlich nicht zu kümmern, nur die Charaktere.
2. Sie berichten wiederum den Spielern, was weder sie noch deren Charaktere wussten. Damit entfernen sie ein Stück von Mystik aus dem Spiel bzw. einen Hauch von Geheimnis, nämlich, warum Hans gegen Snöbli eingestellt ist, bzw., dass er es überhaupt ist.
Wenn Hans gegen Snöbli intrigiert, bzw. anderen erzählt, was dieser früher getan hat, dann ist da immer Unsicherheit mit dabei, denn vielleicht hat Hans das ja alles nur erfunden oder verdreht?
Wenn Hans das dagegen denkt, dann ist hundertprozentig klar, dass Hans davon fest überzeugt ist und das auch so meint.
Und Unsicherheit ist immer spannender als Gewissheit.
Zudem diese Gewissheit durch Informationen auf OT-Ebene zustande kommt und daher eigentlich "illegal" ist, sich aus den Köpfen aber nicht mehr rauslöschen lässt.
3. Wiederum auf Spielerebene, werden die Spieler vor Snöbli gewarnt, dass diesem nicht zu trauen ist, und seine Motive unlauter sind. Auch das hat eigentlich nichts in der Chronik zu suchen; wenn, dann müssen Charaktere Charaktere warnen, nicht Spieler Spieler.
Natürlich sollte die geforderte IT/OT Trennung verhindern, dass Spieler sich davon beeinflussen lassen, aber einerseits, warum dann überhaupt etwas schreiben, was eh ignoriert werden muss, andererseits kann man solche Dinge nie völlig ignorieren, wenn man sie einmal weiß, man wird nie wieder Snöbli gegenüber so unvoreingenommen sein wie zuvor, ob man will oder nicht. Daher ist es - wie immer - besser, OT so wenig zu wissen wie möglich, damit man möglichst wenig absichtlich zu ignorieren versuchen muss. Aus diesem Grund sind ja auch die OOC-Foren versteckt.
4. Der wichtigste Punkt ist hier, dass die anderen Spieler, die von Clothilda und Snöbli, sich nicht nur nicht wehren können, sie können nicht einmal reagieren, denn sie bekommen ja von diesen Gedanken nichts mit.
Deswegen ist diese Art der Meinungsbildung, auch wenn man mit diesem Wort etwas vorsichtig sein muss, "unfair" gegenüber den Mitspielern.
Die Bemerkung in Beispiel 2 über Clothilda dient ja z.B. offensichtlich keinem anderen Zweck, als Clothildas Spieler zu beeinflussen.
Die Charaktere mögen intrigante Dreckschweine sein, aber von Spieler zu Spieler sollte man (wie es eigentlich fast immer auch gemacht wird) fair und anständig bleiben und keine OT-Beeinflussung anderer versuchen oder durch Unachtsamkeit verursachen. (IT ist dagegen natürlich alles erlaubt )
5. Es sei denn, und das ist der letzte große Effekt von Beispiel 2, sie machen es genauso, und schreiben nun ihrerseits Gedanken hin, die dann vermutlich "zufällig" die Gedanken ihres "Angreifers" widerlegen und ihre eigene Meinung erläutern.
In der Folge ergibt sich dann, dass keiner mehr Gesten von sich schreiben will (denn die geben anderen Anhaltspunkte für ihre Gedankenattacken), und dass jeder sich in langen Gedankenmonologen über das Spiel und Gott und die Welt auslässt.
Jeder ist dann unzufrieden, weil er nichts direktes unternehmen kann, und die Chronik schläft ein, weil keine äußere Handlung stattfindet, sondern nur noch "zufällig aufeinander Bezug nehmende Gedankenmonologe", was nicht nur langweilig, sondern auch ausnehmend lächerlich ist.
Dieses Szenario ist nicht aus der Luft gegriffen, denn wir hatten sowas in der Art schon einmal vor ein paar Jahren, und wenn man nachdenkt, dann sieht man auch, dass es praktisch zwangsläufig auf sowas hinausläuft.
So, Fazit
Bitte ALLE (ja, auch DU bist gemeint, NEIN, das gilt nicht für alle anderen außer dich, es gilt sogar ganz speziell nur für dich, wenn dir das hilft, meine Worte ernst zu nehmen) in Zukunft auf diese Problematik achten, sie sich durch den Kopf gehen lassen, und Beispiel 2 möglichst vermeiden.
Ich denke, keiner kann wollen, dass es wieder zu einem Gedankenkriege-Zeitalter kommt. Davon hat niemand was.
Da liest man lieber weniger über die gedankliche Motivation eines anderen Charakters. Schließlich sind wir ja auch keine Psychologie-Selbsthilfe-Gruppe, wo man die eigenen Gedankengänge bis ins Detail sondiert, sondern wollen spielen und die Interaktion der Charaktere und ihre Entwicklung in Taten und Worten ausspielen und sehen.
Danke fürs Lesen
PS: Da diese Problematik in gewisser Weise mit dem Wachsfiguren-Problem zusammenhängt (siehe dort), bietet sich punktuell ein ähnliches Gegenmittel an, das zwar keine langfristige Änderung bringt (das erreicht aber dafür hoffentlich der Post und das daraus entstehende Verständnis), aber zumindest kurzfristig hilft:
Würfeln lassen.
Kommt jemand mit langen Gedankenketten, die angeblich nach außen nicht sichtbar sind, kann man (ohne dass man sich dafür schämen oder blöd vorkommen muss), würfeln lassen.
Ich wiederhole immer wieder:
Die Würfelfreiheit des Spiels beruht ständig auf der impliziten Zustimmung der teilnehmenden Spieler, dass das alles ohne Würfel geht.
Sobald einer der Spieler seine Zustimmung explizit wiederruft, MUSS gewürfelt werden, ohne dass daran etwas Anstößiges ist.
Das heißt, wenn man einen Gedanken oder Emotionen verbergen will, und der andere sie erkennen will, macht man einen Wurf gegen Widerstand.
Spontane Gedanken ("Häää??") oder aufkeimende Emotionen ("Wie kann er es wagen...!") verbergen ist Geistesschärfe+Ausflüchte.
Rationale Gedankengänge ("Wie verachtenswert, was er da wieder von sich gibt, wie typisch für ihn und sein schmutziges niederes Blut...") und tiefsitzende Emotionen ("Ich hasse ihn, seit ich ihn das erste Mal erblickt habe...") ist Manipulation+ Ausflüchte.
Das Erkennen ist jeweils Wahrnehmung+Empathie.
Das jetzt aber bitte um Gottes Willen nicht gerade falschherum verstehen und Beispiel 2 nachahmen mit der Rechtfertigung "Die anderen dürfen ja würfeln"... wenn man so denkt, dann bitte den Post nochmal lesen, da stehen genug gründe, warum Beispiel 2 im Besten Falle ungünstig ist, und man sich hundertmal besser an Beispiel 1 halten soll.
Die Anmerkung mit dem Würfeln ist dafür da, falls ein Spielpartner sich trotzdem an Nr. 2 halten sollte, vielleicht ohne es zu merken, und auch, darauf angesprochen, daran nichts ändert. _________________ I can hear the sound of
violence long before it begins... |
|