Das Tier, ein Besitzergreifendes Wesen, das nach Blut giert und
sich von Gewalt und Grausamkeit nährt, lauert in jedem Vampir. Das
Tier ist launisch, gemeingefährlich, zieht alle Vampire in die
Verdammnis, und solange es heult, kann ein Kainit noch so stark,
noch so gläubig sein: Rettung oder gar endgültige Erlösung wird es
für ihn nicht geben. Es ist das Tier, das Kainiten zu Monstern
macht, sie dazu bringt, alles zu verschlingen und zu vernichten,
was sie berühren und woran ihnen etwas liegt. Das Tier treibt die
Vampire zum Jähzorn, nährt sich von ihren Gefühlen und vergiftet
und verfälscht diese.
Die Frommen und Religiösen unter den Kindern
Kains sind der Ansicht, das Tier könne letztlich nur eine
Spiegelung der Erbsünde sein, die Kain von seinen Eltern ererbte.
Weil sie ihre unsterblichen Seelen opferten, als sie Vampire
wurden, können Kainiten den Drang zur Sünde nicht länger
unterdrücken und sind daher verdammt, bis in alle Ewigkeit
Gefangene ihrer eigenen niederen und niederträchtigen Gelüste und
Begierden zu sein.
Ob das nun wahr ist oder nicht: Das Tier verzerrt die Identität
eines Vampirs und intensiviert die geistigen Schwächen, die ein
Kainit als Sterblicher besessen hat. Ein Vater verwechselt
vielleicht Liebe mit Besessenheit; ein Priester versteift sich auf
die eigene Rechtschaffenheit und geht so weit, seine Verbrechen
als Vampir damit zu rechtfertigen, dass er sie für „Gottes Willen"
hält. Die Liebe eines Ritters zur Dame seines Herzens wird
vergiftet und korrumpiert und führt zu Hass und Ablehnung. Am Ende
macht das Tier alle Vampire selbstsüchtig. Ihre Bedürfnisse, ihre
Sünden, ihre Qualen, ihre Liebe, ihr Hass sind von einmaliger
Bedeutung, wichtiger als alles andere, als jeder andere.
Das Tier
schreit aus den tiefsten Tiefen der Seele und fleht um
Freilassung. Die Schwachen geben dem nach und werden zu wilden
Monstern, die nur noch von ihren niedrigsten Sehnsüchten und
Begierden - normalerweise dem Drang zu überleben und dem Hunger -
geleitet werden. Dies ist ein Zustand, den alle Kainiten mehr als alles andere
fürchten, denn er bedeutet das endgültige Aus für ihr früheres
Ich.
Wer einen starken Willen und eine feste Überzeugung hat, dem geht
es besser. Er kann das Monster in sich unter Verschluss halten,
nährt sich nur, wenn es gar nicht mehr anders geht und hat seine
Gefühle unter Kontrolle. Im Bestreben, das Tier in Schach zu
halten - und das wollen alle Kainiten - orientieren sich die
Vampire an den Wegen, den mystischen Pfaden der Kainiten. Die Wege
sollen ihnen helfen, denn jeder Kainit möchte frei vom
unstillbaren Hunger sein, den nicht enden wollenden Begierden, und endlich
Ruhe finden. Aus diesem Grunde ringen alle Kainiten um Kontrolle
und wachen sehr genau über ihr äußeres Umfeld, denn Einfluss auf
das Tier gewinnen sie niemals.
Kainiten mögen Königreiche und
selbst Weltreiche regieren: Jede neue Nacht erinnert sie an die
einfache Tatsache, dass sie letztlich nur Sklaven des Tieres in
ihnen sind. Dies ist ein Kampf, den kein Kainit je gewinnen kann.
Die Raserei
Das Tier - dieser Name ist zutreffend: Es handelt sich um die
Instinkte und Impulse eines Tiers. Fast nichts an diesem Tier ist
rational, und genau das fürchten viele Kainiten. Wie ein tumbes
Biest schlägt das Tier mit aller Macht um sich, zerstört alle
höheren Gedanken und Gefühle und stürzt den Vampir entweder in
eine rasende blutige Ekstase
oder in die wahnsinnige Angst, die die Kainiten Rötschreck „Die rote Furcht“ nennen.
Ein Vampir, der sich an das Tier in ihm verloren hat, ist etwas
Furchterregendes. Er kennt nichts außer der Raserei. Wie eine
gefangene Bestie schlägt er um sich und greift alles an, was sich
ihm in den Weg stellt. Der Anblick eines rasenden Vampirs auf
einem Schlachtfeld ist schrecklich, jedoch ist ein Kainit dem es
gelingt, das Tier unter der Oberfläche brodeln zu lassen, weitaus
bedrohlicher. Das Tier kann sehr subtil sein, und hier enthüllt
sich die ganze Heimtücke seiner Bösartigkeit: Es versucht, alles,
woran der Vampir glaubt, ins Gegenteil zu verkehren. Es vergiftet
die Gefühle eines Kainiten gegenüber allen, die ihm eigentlich
nichts Böses wollen, Es flüstert ihm grundlose Ängste ein, bis der
Kainit niemandem mehr trauen kann, nicht einmal sich selbst. Das
Tier macht falsche Versprechungen, sichert Einfluss und Macht zu,
eine Macht, die den Kainiten letztlich in die Verdammnis führt.
Die kainitische Existenz ist praktisch eine Gratwanderung: auf der
einen Seite das zivilisierte menschliche Wesen, auf der anderen
die niederen Leidenschaften des vampirischen Naturells. Die dunkle
Seite der kainitischen Persönlichkeit, das Tier, verlässt
sich lieber auf Leidenschaft und Instinkt als auf den Verstand.
Die kainitische Existenz ist praktisch eine Gratwanderung: auf der
einen Seite das zivilisierte menschliche Wesen, auf der anderen
die niederen Leidenschaften des vampirischen Naturells. Die dunkle
Seite der kainitischen Persönlichkeit, das Tier, verlässt
sich lieber auf Leidenschaft und Instinkt als auf den Verstand.
Das Tier tritt in der Regel in Zeiten starker Gefühle - Furcht, Erniedrigung und Hunger - in
den Vordergrund, etwas, was die meisten Kainiten verzweifelt zu
vermeiden suchen. Manchmal sind sie damit erfolgreich, haben sich
fest in der Hand und unternehmen nichts Unkontrolliertes. Manchmal
aber übernimmt das Tier, und das Ergebnis ist eine Orgie
Instinktgesteuerter Gewalt.
Raserei stellt einen unkontrollierten Gefühlsausbruch dar, der in
vielem einem Wutanfall ähnelt, allerdings sehr viel primitiver und
gewalttätiger ist. Der Vampir wird von der Wut förmlich verzehrt,
greift Freund und Feind gleichermaßen an und ignoriert seine
normalen moralischen Verhaltensstandards völlig. Die
Schwierigkeit, dem Tier zu widerstehen, ist unterschiedlich und
hängt von der Persönlichkeit und den Ansichten jedes einzelnen Kainiten
ab. Ereignisse, die den einen Kainiten dazu brächten, die Nerven
zu verlieren und in Raserei zu verfallen, lassen einen anderen
unter Umständen völlig kalt. Die meisten Auslöser für Raserei sind
gefühlsbedingt, es gibt aber auch einige körperliche, vor allem
Hunger und Verletzungen. Wenn die Hingabe eines Kainiten an
einen Weg noch nicht geprüft worden ist, fällt es ihm wahrscheinlich schwerer, der Raserei und damit dem Tier zu widerstehen.
Rötschreck: Die Rote Furcht
Obwohl es nur wenige Dinge gibt, die einen Vampir töten können -
und obwohl viele der Verdammten behaupten, ihre unsterbliche
Existenz zu verabscheuen - jagen bestimmte Formen von Verletzungen
allen Vampiren großen Schrecken ein. Sonnenlicht und Feuer können
einen panikartigen "flieh-oder-stirb" - Geisteszustand auslösen.
Solange er unter dem Einfluss der Roten Furcht steht, flieht ein
Vampir in blinder Hast vor der Quelle seiner Angst, wobei er wild
auf alles einschlägt, was sich ihm in den Weg stellt, unabhängig
von persönlichen Beziehungen oder Bindungen.
Rötschreck ist in
vielerlei Hinsicht mit jeder anderen Raserei zu vergleichen; so
wie das Tier manchmal in Zeiten des Zorns die Kontrolle über den
Vampir erlangt, tut es dies auch in Zeiten großer Furcht. Relativ
harmlose Reize oder solche, die einer direkten Kontrolle durch den
Charakter unterstehen, lösen wahrscheinlich keinen Rötschreck aus.
Ein brennendes Feuer in einem Kamin im Haus eines Verbündeten, macht einen Kainiten vielleicht unruhig, aber normalerweise verfällt er nicht der roten
Furcht. Flackern die Flammen im Kamin aber plötzlich und unerwartet auf....
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