Kinder trifft man überall. Sie sind ein allgegenwärtiger Bestandteil der menschlichen Gesellschaft, doch des Nächtens pflegen die meisten von Ihnen zu schlafen und sich in
ihren Bettchen zu verkriechen vor lauter Angst, dass die Upire sie holen kommen. Oder die Wodjanoi. Oder schlimmeres. Nur Eines verweigerte sich wohl der Furcht, denn immer
öfter sieht man ein Kind durch die nächtlichen Straßen Prags wandeln und mit Wesen verkehren, vor denen manch Gleichaltriger schreiend fliehen würde.
Ein kleiner Junge sei es, so lautet der Kanon zumindest.
Meistens erzählt man von ihm, wie er am Ufer der Moldau auf einem Stein sitzt, das kleine Kinn auf die Fäustchen gestützt, der Oberkörper geschützt von weinrotem,
edlen Stoff mit fremdländischem Schnitt, die Beine in Leinenbeinlingen und um die Schultern einen Mantel aus Wolfs-, Keiler- und Bärenfell, das nahtlos ineinander
übergeht, der im leichten Wind flattert.
Während der vielleicht 8 Jahre alte Knabe aus zumeist lindgrünen Augen, denn hier variieren die Beschreibungen über sämtliche Farben des Regenbogens, am häufigsten
jedoch scheint lindgrün oder meerblau zu sein, Gedanken verloren über den Fluss schaut nimmt er des Öfteren die strohblonde Haarsträhne, die unter einem exotisch
geschnittenen Kopftuch hervorschaut und die linke Gesichtshälfte über das Auge bis zum Kinn durchschneidet, zwischen Mittel- und Ringfinger um sie zur Seite zu schieben,
wobei ein silberner Ring in Form eines Drachen mit angelegten Flügeln aufblitzt, jedoch schnell wieder unter dem Kinn verschwindet.
Manche Leute behaupten auch er sei gar kein Kind, sondern ein Dämon. Ein Vukodlak, doch das ist schlicht unmöglich, wie soll ein Kind von solch schöner Gestalt,
mit solch einer lieblichen Stimme, die manchmal eine alte, slawische Weise anstimmend über die Moldau hallt, etwas schlechtes sein? Zumal seine Haut so rosig und
zart ist, wie die eines neugeborenen Kindes.
Nein, völlig ausgeschlossen, dass dieses Wesen etwas anderes sein könnte als ein Engel Gottes, denn diese lieben die Gestalt eines Kindes, wie jeder weiß.
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