Von der Jagd

„Wir sind gewohnt zu allen Zeiten,
dass die Menschen verhöhnen,
was sie nicht verstehen,
dass sie vor dem Guten und dem Schönen,
dass ihnen oft beschwerlich ist, murren
will es der Hund wie sie beknurren“


J.W. von Goethe, Faust

 

 

Selbst der niederträchtigste und tyrannischste Erzeuger lehrt seinen Nachkommen wie man jagt, denn ohne diese Lektion hat ein Kücken kaum eine Chance, mehr als ein paar Nächte zu überstehen, ohne die Aufmerksamkeit von Sterblichen zu erregen.

Das Kind lernt zu jagen, ohne sich selbst zu gefährden und, was noch wichtiger ist, wie sich die Spuren des Kusses, des Akts der Nahrungsaufnahme, verbergen lassen, indem man die entstandene Wunde so lange leckt, bis sie sich schließt.
Anfangs wird das Kind, jung und unerfahren wie es ist, wahrscheinlich seine Beute töten und dadurch noch tiefer in den Abgrund der Verzweiflung geraten.

Nur wenige Erzeuger stillen die Kinder ab, indem sie sie das Blut von Tieren trinken lassen, und ebenfalls wenige bringen ihnen bei, das man nicht wirklich töten muss, um sich zu nähren. Diese Enthüllungen kommen oft zu spät, wenn das Kind, bei seinen unbeholfenen Versuchen, sich zu nähren, schon mehrmals getötet hat.

Mit der Zeit lernt das Kind, das Tier in ihm in Schach zu halten und dessen Wutanfälle zu reduzieren.
Statt die Opfer auszusaugen, bis sie ihr Leben aushauchen, trinkt das Kind jetzt nur noch soviel Blut, wie nötig ist, um das Tier zu beruhigen, lässt die Beute aber am Leben.

Je häufiger ein Kind trinkt, desto vertrauter wird es mit der Hingabe, der zarten Pantomime zwischen Jäger und gejagtem.
Seine Raubinstinkte erwachen zum Leben, und das Kind beginnt, in der Nacht selbst auf Beutezug zu gehen.

Ein Kind lernt von Anfang an, das alle Kainiten ihre Reviere haben. Zuerst teilt ein Erzeuger seinen Zufluchtsort und seine Jagdgründe mit seinem Kind – aber je weiter es sich entwickelt, desto wachsamer wird der Erzeuger, was seine Territorien betrifft und das Kind muss lernen, sich eigene Territorien zu suchen und gegen andere zu verteidigen.



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