[Jirka]

So wie es aussah, gehörte das Haus sicher nicht den ärmsten Einwohnern von Prag,….da es in der Altstadt stand, war das in der Tat ziemlich unwahrscheinlich…aber was Jirkas Aufmerksamkeit erregt hatte, war mit Sicherheit nicht der Wohlstand der Bewohner.
Er verstand die deutschen Worte nicht, die man sich in dem Haus an den Kopf warf, und die nur gedämpft durch die geschlossenen Verschläge an seine Ohren drangen.

Aber den Tonfall kannte er gut. Allzu gut.

Für einen langen Augenblick blieb er im Schatten des Hauses stehen, an die steinerne Mauer gelehnt, und lauschte den Stimmen aus dem Haus. Zwei Männer, wohl ein älterer und ein jüngerer. Der Streit endete in einem Poltern und im Zuschlagen einer Tür. Für eine Weile herrschte wieder die Stille der Nacht, in der Jirka in Gedanken versank, in bösen Erinnerungen. Das Klappern eines Fensters über ihm, gefolgt von unterdrücktem Fluchen, holte ihn wieder zurück in die Gegenwart.
Schnell trat er ein paar Schritte nach links, bis er hinter der nächsten Ecke des Hauses verschwand – zumindest weit genug, um nicht gesehen zu werden. Er konnte aber seinerseits beobachten, wie eine ein Junge aus dem Fenster kletterte, so geübt, als tue er dies öfter. Er sah sich schnell um, und verlor keine Zeit, außer Sichtweite des Hauses zu kommen.

Die Nacht versprach ja doch noch interessant zu werden….er konnte nicht anders, als ihm zu folgen, verborgen im schwarzen Schatten der Häuserwände. Der Sterbliche schien offenbar nicht ganz unvorsichtig zu sein, denn er hielt hinter der nächsten Ecke an. Zumindest hörte Jirka keine Schritte mehr, wenn als er kurz regungslos in der Dunkelheit verharrte. Erst als er sie wieder hörte, ging auch er leise weiter. Er war sich selber noch nicht ganz sicher, ob er wissen wollte, mit welchem Ziel der Mensch unterwegs war,…oder ob er nur sein Blut wollte.
Wessen Gebiet war das hier eigentlich..? Niemandes, oder? Nein, erst wollte er wissen, wo der Sterbliche hinwollte. Nach einer weiteren Biegung sah er am Ende der Straße die dunkle Silhouette der Mauer aufragen, die das Judenviertel umschloss. Der Junge, dem er folgte lief auf diese Mauer zu, verschwand im Schatten der Mauer, bis er stehenblieb und sich daran zu schaffen machte.

Jirka starrte angestrengt in die Dunkelheit, um zu sehen, was er tat, aber diese Frage beantwortete sich von selbst, als er sah, dass der andere die Mauer hinaufkletterte. Oder bildete er sich das nur ein, weil er es sehen wollte…? Kurz misstraute er seinen Augen, aber dann sah er den Jungen für einen Moment auf der Mauer auftauchen, bevor er auf der anderen Seite verschwand. Was um alles in der Welt wollte er da? Was, weswegen er nicht bei Tage durch das Tor hineingehen konnte? War das Sterblichen auch verboten? Aber da er so heimlich über die Mauer schlich bei Nacht, schien er nichts vorzuhaben, was erlaubt war…

Aber es gab wohl nur einen Weg, um das herauszufinden. Er blickte sich noch einmal um, ob niemand zufällig des Wegs kam und lief dann über die Straße, dorthin, wo man offenbar die Mauer hinausklettern konnte. Mit einem Kribbeln auf seiner untoten Haut blickte er diese Mauer hoch, und tastete über die kalten Steine.Er registrierte kaum, dass ihm die Kapuze des dunklen Umhangs in den Nacken rutschte. Das Mauerwerk war in der Tat unregelmäßig genug, um irgendwie daran hochzukommen. Mit ein bisschen Glück würde er den Jungen noch finden. Und….weshalb war es eigentlich verboten, dieses Viertel? Das würde ihn auch interessieren. Außerdem…wenn er den kleinen Hof ohne unschönen Zwischenfall überstehen wollte, musste er wohl vorher seiner dunkleren Seite geben, was sie wollte. Abgesehen von Blut. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwunden, setze er einen Fuß auf einen etwas vorspringenden Stein in der Mauer.

[Eliška Valdštejn]

Eliska war gerade auf der Jagd gewesen und war nun auf dem Weg zum Fluss. Sie liebte die Spaziergänge entlang des glitzernden Wassers, begleitet vom leisen Geplätscher des Wassers hing sie gerne ihren Gedanken nach. Heute wählte sie den Weg durch die Altstadt, die Nacht war noch jung und sie hatte Zeit genug eine längere Strecke zu gehen.

Es waren nicht mehr viele Leute auf den Straßen unterwegs und die Rose in ihrem dunklen Umhang bewegte sich mit den ihr eigenen fließenden Bewegungen durch die Nacht. Ein paar Straßenzüge vor ihr erhob sich die Mauer des Judenviertels. Die dunklen Steine hoben sich nur schwach von der Dunkelheit des Himmels ab. Aus einem Fenster, dass sie passierte, klang das raue Gebrüll von Männern und das Klirren ihrer Bierkrüge. Die Tür schwang auf und heraus torkelte eine Gestalt, die sich mit würgenden Geräuschen an der Mauer der Taverne übergab. Eliska verzog abfällig das Gesicht und beeilte sich, an ihm vorbeizukommen. Ihrer empfindlichen Nase brannte der gallige Geruch von Erbrochenem in der Nase. Der Mann schien eine Bewegung zu sehen, doch als er aufsah, war die Rose längst vorbeigehuscht.

Die Mauer des Judenviertels war nun direkt vor ihr. Ein Strahl Mondlicht fiel auf ihre Steine und auf die Gestalt, die gerade einen Fuß auf einen Mauervorsprung setzte, wohl, um den Aufstieg zu wagen. Die dunkle Kapuze war ihr in den Nacken gerutscht und mit Erstaunen erkannte Eliska Jirka. Unwillkürlich hoben sich die Augenbrauen der Rose. War ihm nicht bewusst, dass das Judenviertel für die Kinder Kains verboten war? Oder verstieß er absichtlich gegen das Gebot? Sie wusste es nicht. Nunja, aber das ließ sich ja herausfinden. Sie trat aus der Gasse heraus, im dunklen waren nur ihre Umrisse zu erkennen.

„Jirka von den Drachen...“ sagte sie leise, aber mit klingender Stimme, die problemlos zu dem Vampir an der Mauer drang, „mir scheint, eure Wege führen euch heute nacht auf verbotene Pfade.“

[Jirka]

Jirka zuckte kurz erschrocken zusammen, sobald er diese klingende Stimme seinen Namen aussprechen hörte. Was sollte er nun tun…sein Vorhaben fallen lassen? Nein, das wäre...nicht gut. Bei dem bloßen Gedanken verengten sich seine Augen für einen Moment. Aber dann sog er tief die kalte Nachtluft ein, schüttelte leicht den Kopf, wie zu sich selbst. Als er den Kopf zu der Rose zuwandte, lächelte er, wenn auch noch etwas Gefährliches darin lag. Sein zerzauste Haare fielen über eine Hälfte seines Gesichtes, und in dem dunklen Auge, das sie sehen konnte, lag sowohl noch Widerschein der Wut, als auch ein übermutiges Glitzern: „Eliska von den Rosen…da habt Ihr wohl recht. Ich fürchte, es ist..“ Er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, so dass die Rose es fast von seinen Lippen ablesen musste: „...verboten.“ Dem Tonfall nach konnte man meinen, dass es ihm deshalb umso mehr gefiele, und in der Tat verschwand der bedrohliche Unterton aus seiner Haltung und sein Lächeln wurde geradezu fröhlich. Und damit wies er auf die Mauer:

„Aber wollt Ihr vielleicht trotzdem mitkommen?“ Er legte fragend den Kopf ein wenig schief und musterte den Ausdruck ihres Gesichts sehr aufmerksam, um ja nicht zu verpassen, wie sie darauf reagierte.

Plötzlich erschien ein Leuchten tief in seinen Augen und er lächelte wieder: „Wisst Ihr…es ist verboten, und wenn ich einer der Hexer wäre…“, sprach er leise weiter und seine Augen wurden ein wenig größer, während er das sagte, so als würde ihm die Bedeutung seiner Worte gerade selbst erst bewusst, „…dann würde ich mich dort verstecken, wo mich keiner suchen darf.“

Jetzt lächelte er nicht mehr, dafür lag ein beunruhigter Ausdruck auf seinem Gesicht, als er noch einen Blick die Mauer hinauf warf. Der junge Sterbliche war vermutlich ohnehin jetzt weg. Aber dennoch…dieser neue Gedanke machte ihn nicht unbedingt weniger neugierig. Immerhin wäre es ja möglich, dass das sogar stimmte.

[Jirka]

wird an einem anderen Ort fortgesetzt.